Vorgeschichte
„Bist du gleich fertig?“ fragte ich ungeduldig. „Wir verpassen noch unser Schiff!“ „Bin ja gleich da, ziehe noch eben Schuhe an.“ entgegnete mein Bruder. In die Heimat sollte es gehen, in den fernen Norden. Natürlich musste ich auf meinen Bruder aufpassen, meine Mutter kam nicht mit. „Passt bitte auf euch auf. Und du hörst bitte auf deinen großen Bruder, ist das klar?“ „Ist ja gut, Mama. Ich werde dich vermissen.“ Antwortete mein Bruder mit einer Träne, die vom linken Auge runterfloss. „Wir werden dir gleich einen Brief zukommen lassen, sobald wir angekommen sind!“ sagte ich. Auch ich konnte mir eine Träne nicht verkneifen, zumal es das letzte Mal werden sollte, dass wir unsere Mutter sehen. Wir umarmten uns zu dritt für eine Zeit und ließen wieder voneinander ab. „Ich hoffe nur, dass du noch hier bist, wenn unser Brief bei dir ankommt.“ sagte ich. Meine Mutter antwortete: „Das hoffe ich auch, mein Kind, das hoffe ich auch. Jetzt müsst ihr aber los. Und... Grüßt euren Onkel von mir.“ „Machen wir, machen wir. Und... bitte mach dir nicht zu viele Gedanken, vielleicht finden sie dich ja gar nicht.“ Wir verließen das Haus und drehten uns ein letztes Mal um, um unserer Mutter zu winken.
Mir gingen in der Kutsche so viele Gedanken durch den Kopf: Was mein Onkel wohl für ein Mensch ist, ob wir jemals noch was von unserer Mutter hören werden, ob es im Norden wirklich so kalt ist. Dennoch wusste ich, dass wir gehen mussten. Wir mussten gehen, weil wir immer wieder von der Kirche gejagt wurden. „Hexerei“ sagten sie. Es gelang uns für eine lange Zeit, uns zu verstecken. Meine Mutter fasste den Entschluss, dass es das beste für meinen Bruder und mich wäre, wenn wir in ein anderes Land reisten. Mein Vater fiel der Kirche bereits zum Opfer. Er verbrannte auf dem Scheiterhaufen, um uns das Leben zu retten. Unaufhörlich versuchte die Kirche, uns zu finden. Und jetzt, so hoffte meine Mutter, sind wenigstens ihre Kinder in Sicherheit.
Am Hafen angekommen staunte ich nicht schlecht: Ich war noch nie auf einem Luftschiff. Es hat mich schon immer fasziniert, was sich wohl in diesen riesigen weißen Ballons befinden würde, was die Schiffe in der Luft hält. „Vorwärts ihr Blagen! Oder bleibt ihr hier? So seht ihr zumindest mal aus.“ Reiche Leute sind unhöflich. Mein Bruder wollte gerade was sagen, ich hielt ihn zurück. Wir drehten uns um und bestiegen das Schiff. Verachtende Blicke fingen wir uns von den betuchten Passagieren ein. Wir ließen uns nicht stören und genossen die Aussicht.
Gedankenversunken sah ich aus dem Fenster. Mein Vater vererbte mir eine Fähigkeit. Zu Lebzeiten war er Meister der Flammen. Je nachdem, welche Augenfarbe eine Person hat, ändert sich auch die Farbe der Flamme, die man herbeirufen kann. Bei mir ist es grün. Mein Vater konnte blaue Flammen erzeugen. Irgendwann dachte ich soviel nach, dass ich einschlief. Lang habe ich allerdings nicht geschlafen.
Ein Bediensteter vom Schiff versuchte, die aufgebrachten Passagiere zu beruhigen, es wäre nur ein Gewitter. Ich sah schlaftrunken aus dem Fenster und entdeckte etwas merkwürdiges. Die Blitze waren nicht wie sonst weiß, sondern hatten einen grünen Schimmer. Irgendwie fühlte ich mich wohl dabei, dass sie die Farbe meiner Flammen hatten. Ich lächelte und drehte mich zu meinem Bruder. Er war nicht mehr da. Sofort war ich hellwach und suchte, die panische Menge ignorierend, das Schiff ab. Ich rief, bekam aber keine Antwort.
Alles bewegte sich, das Schiff schwankte in der Luft. Die Panik auf dem Schiff und auch mittlerweile unter der Besatzung erreichten einen immer höheren Pegel. Wo war mein Bruder? „MOCO! Wo bist du?“ Eine vertraute Stimme. Ich drehte mich um, sah aber niemanden. Das Gewitter wurde immer Schlimmer und langsam nahm das Schiff erheblichen Schaden. Bodendielen verschoben sich und brachen auseinander. Möbel flogen herum. Wände gaben nach. Auf einmal sah ich meinen Bruder, und er mich. „Moco, ich hab solche angst!“ weinte mein Bruder. „Es ist okay, bleib genau da stehen!“ „Aber ich fühle mich bei dir sich-“ Der eine Schritt war ein Schritt zu viel. Er übersah das riesige Loch zwischen uns im Boden und fiel. Mein erster Impuls war, hinterher zu springen. Doch ich traute mich nicht. Ich entfernte mich vom Loch. Es dauerte einen Moment, um zu realisieren, dass mein Bruder nicht mehr da war. Ich dachte an meine Mutter und fing an zu weinen. Wir sollten doch auf uns aufpassen...
„Was hat das zu bedeuten, Junge? Warum brennen deine Tränen grün?“ Ich sah den Adligen an, der mir diese Frage stellte. Ich wusste keine Antwort. „Die Blitze sind grün, sie kommen sicherlich von ihm. Hexerei!“ Ich bemerkte, dass sie sich mir von allen Seiten näherten und die einzige Lösung darin sahen, mich zu töten. So sprang ich. Da wir uns über dem Meer befanden, überlebte ich irgendwie. Ich hatte keine Kraft mehr, schaffte es aber trotzdem irgendwie an ein Ufer. Es dauerte, bis ich aufstehen konnte. Merkwürdig, dachte ich, schwarzer Sand. War ich etwa schon im Norden? Ist hier mein Onkel? Hat mein Bruder überlebt?
Mit aller Kraft richtete ich mich auf und zog mich an einer Wand hoch. So lief ich los und Suchte. Nach Zivilisation oder anderen Anzeichen humaner Bevölkerung. Es war wie in einem Traum, alles so verschwommen, so... surreal. Dies dachte ich, als sich der Boden... Türkis färbte? Ich lehnte mich an einen Baum. „Sieh mal, Brüderchen. Türkis ist doch deine Lieblingsfarbe.“ Ein Rinnsal aus Tränen lief über mein Gesicht. Ich brach zusammen.
Fortsetzung im Beitrag "Türkiser Boden"