Bücherduft
Als das Schiff von Rin und Forest endlich im Hafen von Avalon ankerte, wurden sie von einer ohrenbetäubenden Geräuschkulisse empfangen. Der Lärm und die Vielfalt der Gerüche in der Stadt waren für sie überwältigend. Überall gab es Stimmen und Musik, das Klappern von Pferdehufen und das Rattern von Wagen. Rin konnte kaum glauben, wie viel los sein musste. Sie sog den Duft von gebratenem Fleisch, Gewürzen und Brot ein, der aus den vielen Gaststätten und Bäckereien in der Umgebung strömte und ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Obwohl sie wusste, dass Avalon eine belebte Stadt war, war sie dennoch überrascht von der Intensität der Lautstärke und dem Pulsieren des Lebens in der Stadt.
Als Rin und Forest vom Schiff stiegen, wurde Rin von einem leichten Schwindelgefühl übermannt. Die vielen Geräusche und Düfte, die sie vorher nur vom Schiff ausgehört und gerochen hatte, waren jetzt noch viel intensiver. Forest bemerkte ihren Zustand und fragte: „Ist alles in Ordnung, Rin?"
Rin nickte und lächelte. "Es geht mir gut, ich muss mich nur noch ein bisschen an die Stadt gewöhnen. Es ist so viel los hier."
Forest lächelte zurück: "Ich verstehe, es ist eine Menge auf einmal. Aber wir haben heute noch eine bisschen was vor uns. Wir müssen in die Bibliothek gehen und herausfinden, wie wir dich wieder hinkriegen."
Rin nickte zustimmend. "Ja, ich weiß. Aber können wir später noch durch die Straßen schlendern? Ich würde gerne mehr von der Stadt sehen."
"Natürlich können wir das tun", sagte Forest. "Aber jetzt sollten wir uns auf unsere die Bibliothek konzentrieren und später können wir uns umsehen und einen Schlafplatz finden."
Sie gingen durch die Straßen, die so voller Leben waren, dass Rin sich fühlte, als würde sie durch eine andere Welt gehen. Sie hörte Verkäufer, die ihre Waren auf den Straßen ausstellten, und Musiker, die ihre Lieder sangen. Rin und Forest gingen weiter, bis sie schließlich die Bibliothek erreichten.
Rin und Forest durchquerten die gepflasterten Straßen, bis sie endlich vor der majestätischen Bibliothek standen. Der hohe Bau aus Stein und Holz ragte in die Höhe und beeindruckte Forest zu Hundertsten Mal zutiefst. Die schweren Türen öffneten sich mit einem leisen knarzen und sie traten in die große Halle ein. Es war ein atemberaubender Anblick. Überall um sie herum erstreckten sich hohe Regale voller Bücher, die bis zur Decke reichten. Der Geruch von Leder und Papier war überwältigend und Rin konnte förmlich die Magie spüren, die von den Büchern ausging. Der Raum war voller Menschen, die in Büchern und Schriften vertieft waren und ihre leisen Stimmen flüsterten. Rin war fasziniert von der Atmosphäre und ihrem unerschöpflichen Wissen.
Forest nahm vorsichtige die zarte und dünne Hand der überwältigten Weißhaarigen und führte sie zu einem Tisch in einer ruhigeren Ecke der Bibliothek. Rin tastete sich vorsichtig mit ihren Fingern über die Tischplatte und spürte das glattgeschliffene Holz und den Staub darauf.
„Was suchen wir jetzt genau?", fragte sie Forest leise.
Forest erklärte Rin, dass er nun einige Bücher suchen würde und ihr dann daraus vorlesen werde, während sie hier sitzen bleibt. Rin nickte und spürte, wie sich ihre Finger über den rauen Stoff des Stuhls unter ihr bewegten. Sie hatte sich darauf vorbereitet, einige Stunden hier zu sitzen und wartete. Die Zeit verrann langsam, und Rin begann sich in dem stillen Warten zu langweilen. Rin konnte förmlich spüren, wie die Minuten schwerer wurden und sich wie Stunden anfühlten. Sie fragte sich, wie lange Forest wohl brauchen würde, um die passenden Bücher zu finden, und sehnte sich nach etwas Ablenkung.
Plötzlich lag eine zarte, warme Hand sich auf Rins Schulter, und eine sanfte, knarrende Stimme sprach sie an. "Entschuldigen Sie, meine Liebe, ist alles in Ordnung mit Ihnen?", erkundigte sich die Frau voller Besorgnis.
Rin drehte ihren Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam, und spürte die beruhigende Präsenz einer älteren Dame. Die Aura der Frau schien Erfahrung und Mitgefühl auszustrahlen. Rin lächelte ihr zu und antwortete: „Ja, mir geht es gut. Mein Freund sucht gerade Bücher für uns. Und braucht ganz schön lang."
Die Frau nickte verständnisvoll und nahm neben Rin platz. Der Lavendelduft der älteren hüllte die Umgebung in eine angenehme Atmosphäre.
„Darf ich dir das Warten etwas versüßen?", fragte die Dame zu Rin lächelnd und richtete ihren aufmerksamen Blick auf die Weißhaarige. Rin saß aufrecht und elegant in einem der großen Ohrsessel, ihre Haare fielen sanft über ihre Schultern. Obwohl sie nicht sehen konnte, schienen ihre Augen lebhaft und strahlten eine gewisse Lebendigkeit aus. Sie hatte etwas von einer Porzellanpuppe an sich, ein äußeres Bild von Anmut und Eleganz.
Ihr Gesicht verriet nichts von ihren Gedanken, und aus der Ferne könnte man meinen, sie sei eine Adlige aus der Stadt. Doch je näher man ihr kam, desto mehr fielen die Flecken auf ihrem Stoff, der Dreck unter ihren Fingernägeln und die Schrammen auf ihrer Haut auf. Der Duft, der sie umgab, war auch nicht gerade betörend. Trotzdem strahlte Rin eine besondere Anziehungskraft aus, die die Aufmerksamkeit der älteren Dame gefangen nahm.
Die alte Dame, die Rin gegenübersaß, hatte einen undurchdringlich Blick, aber trotzdem war er freundlich. Die Falten in ihrem Gesicht verrieten ein langes Leben und man konnte in ihren Augen vielleicht auch die Spuren dessen erkennen, wenn man lange genug hinsah. Doch weder Rin noch die alte Dame schienen die Blicke der anderen Passanten zu bemerken oder zu erwidern. Es war, als hätten sie sich an solche Aufmerksamkeit gewöhnt.
Die Dame lächelte und begann lebhaft von ihren Reisen im Norden zu erzählen. Rin lauschte gespannt ihren Geschichten. Kriege, Kämpfe, der Adel, Helden, böse Monster, Golems, Schwertkämpfer, Erfinder, Magie, undurchdringbare Wüsten und die tiefsten Unterwassertempel – alles, was die Frau erzählte, klang so lebendig und detailreich, als wäre man direkt dabei gewesen. Es war, als wäre die Dame tausend Jahre alt und hätte die ganze Welt bereist. Rin konnte gar nicht genug davon bekommen und sehnte sich danach, ähnliche Abenteuer zu erleben.
"Ich wünschte, ich könnte eines Tages ähnliche Erfahrungen machen", flüsterte Rin während einer kurzen Pause. Die alte Dame lächelte sanft.
"Das wirst du sicherlich, mein Kind. Dein ganzes Leben liegt noch vor dir.“. erwiderte die Dame. Dann stand sie auf und verabschiedete sich: "Es tut mir leid, aber ich muss nun weitergehen. Ich hoffe, dass dein Begleiter bald zurückkehrt. Es war schön, mit dir zu sprechen." Rin bedankte sich bei ihr und lächelte zum Abschied.
Doch plötzlich runzelte die Weißhaarige die Stirn. Der letzte Satz der Dame ließ sie nicht los. Sie konnte mit der alten Frau sprechen.
"Halt, warten Sie!" rief Rin.
Die Dame drehte sich um und lächelte wieder sanft. "Keine Sorge, mein Kind, wir werden uns sicherlich noch einmal begegnen", flüsterte ihre sanfte Stimme, bevor sie sich auf den Weg machte und in der Menschenmenge verschwand.
Als die Frau gegangen war, wurde Rin ungeduldig und begann, ihre Finger unruhig auf den Tisch zu trommeln. Sie fragte sich, wo Forest blieb und was er so lange in der Bibliothek suchte. Sie beschloss, aufzustehen und ein wenig umherzulaufen, um sich die Beine zu vertreten.
Rin tastete sich unsicher durch die Bibliothek wo sie entlangging. Sie war allein und es war eine ungewohnte Erfahrung für sie, die sie verunsicherte. Sie fragte sich, ob sie sich jemals an diesen Ort gewöhnen würde und an die Tatsache das sie nichts mehr sehen konnte. Sie hatte soviel verloren. Ihre Kräfte, das Gefühl unendlich stark zu sein und ihre Visionen. Wobei letzteres ihr am meisten fehlte.
Als sie weiter durch die Regale tastete, spürte sie plötzlich etwas Kaltes und Metallisches. Es war ein Griff einer Tür, und als Rin ihn öffnete, betrat sie einen Raum, der mit dunklen Vorhängen bedeckt war. Die Luft darin war schwer und unangenehm, und Rin konnte einen schwachen Geruch von Verfall wahrnehmen. Sie tastete sich weiter vor und spürte, dass sie in einer Art Lagerraum war. Überall um sie herum standen Kisten und Regale voller verstaubter Gegenstände.
Plötzlich hörte sie ein Geräusch, das sie zusammenzucken ließ. Es war das knarren von Holz unter schweren Schritten. Rin wusste nicht, was sie tun sollte. Sie konnte den Eingang nicht finden, um zu fliehe. Also versteckte sie sich hinter einem Regal und versuchte, leise zu atmen.
Die Schritte kamen näher und Rin konnte jetzt ein Schnaufen hören. Es war jemand, der schwer atmete, als würde er eine schwere Last tragen. Rin spürte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann und ihr Atem unregelmäßig wurde. Sie hatte keine Ahnung, wer sich in ihrer Nähe befand und was er oder sie von ihr wollte. Die Ungewissheit verstärkte ihre Angst und sie spürte, wie sich ihr Körper unter der Last der Anspannung zusammenzog. Jeder Schritt des Unbekannten schien lauter und bedrohlicher zu werden, und Rin fragte sich, ob sie jemals wieder sicher sein würde. Ihr Verstand spielte ihr alle möglichen Horrorszenarien vor und sie konnte nichts tun, außer zu hoffen, dass der Unbekannte sie nicht bemerken würde. Sie zog ihre Beine eng an den Körper und versuchte, sich so klein wie möglich zu machen
Fortsetzung folgt…