Kapitel 3
"... lauf weg. Und schau nicht zurück!"
Mit einem erstickten Schrei fuhr Lyndis aus dem Schlaf auf. Ihre Hand fasste in die Luft, als wollte sie nach etwas greifen... oder nach jemandem.
Schwer atmend sah sie sich um. Die türkisen Vorhänge flatterten im Wind, der durch ihren Wald fuhr. Sie war in ihrem Zuhause in den Wäldern des Landes, das sie Ytheldin genannt hatten. Mit einem Seufzen schwang sie die Beine aus dem Bett und stand auf. Nach einem kleinen Frühstück machte sie sich auf den Weg, Alathea zu suchen. Die Drachin badete im großen Fluss, der den Wald durchschnitt.
Ihre goldenen Augen wandten sich Lyndis zu. "Was ist mit dir?", fragte sie ohne Umschweife.
Lyndis blickte zu den großen Bäumen auf, die auf der Klippe über ihnen aufragten. In einem sammelte sich die Magie, die in diesem Wald teilweise frei umherschwirrte, was für magische Lichter in der Krone sorgte. Der Zweite zog die Seelen der Verstorbenen an und entzündete für jede Seele eine Kerze an seinem Stamm.
"Ich habe Träume.", sagte Lyndis.
Alathea sah sie an. "Welche Art von Träumen?"
Sie seufzte. "Ich glaube, es sind Erinnerungen. Zumindest Fetzen davon. Gesprächsfetzen, einzelne Bilder. Und immer wieder eine weiße Stadt mit blauen Dächern."
Alathea nahm ihre menschliche Gestalt an und setzte sich neben Lyndis. "Caras Silivren. Die Stadt, in der du geboren wurdest."
Ein instinktiver Schauer durchfuhr Lyndis. Sie schlang die Arme um sich, als sie für einen Moment panische Angst und Trauer verspürte. "Irgendwas ist mit mir dort passiert.", murmelte sie. Feuer tauchte vor ihrem geistigen Auge auf. "Ich sehe Flammen. Und... ich höre so viele wütende Schreie. "
Alathea seufzte. "Ich hatte wirklich gehofft, dass du dich nicht ausgerechnet daran erinnern würdest.", sagte sie.
"Alathea. Was sehe ich da?", fragte Lyndis.
"Erinnerst du dich, was ich dir über den Hass gegenüber Halbblütern erzählt habe?", fragte Alathea.
Lyndis nickte. "Ja. Und zumindest teilweise erinnere ich mich auch noch daran, dass mich andere Elfen ausgegrenzt haben."
"Dabei ist es nicht geblieben. Ich weiß noch, als wir uns das erste Mal gesehen haben. Du warst 10 Jahre alt und ein paar Soldaten haben dich halb tot geprügelt, weil du in der Bibliothek lesen wolltest.", erzählte Alathea. "Es wurde immer schlimmer. die Eliten in Caras Silivren haben jeden ausgegrenzt und misshandelt, der kein Wasserelf war. Was sie unterschätzt haben war, dass sie sich durch die Sklaven, die sie hielten, ihre Feinde herangezüchtet haben."
Lyndis legte den Kopf schief. "Was meinst du?"
Alathea zeigte die Fangzähne in einem bösartigen Grinsen. "Sie haben uns unterschätzt. Wir haben uns zusammengetan und eine Revolte gestartet. Das war das Feuer, das du gesehen hast. Bei dieser Gelegenheit hast du schließlich auch Caras Silivren verlassen."
"So könnte man es auch bezeichnen.", mischte sich eine neue Stimme ein.
Lyndis und Alathea zuckten zusammen und fuhren herum. Knapp hinter ihnen schwebte eine junge Frau im Schneidersitz über dem Wasser. Ihr hellblaues Haar war in zwei Pferdeschwänzen an ihrem Kopf zusammengefasst und ihre silbernen Augen schimmerten mit Schalk. Sie trug eine kurze weiße Toga und ihre gesamte Gestalt schien zu leuchten.
Alathea spannte sich an. "Lady Menphina.", sagte sie leise und neigte ihren Kopf.
Die Frau wandte sich Alathea zu. "Kleine Schwarze.", sagte sie mit einem Grinsen. Dann wandte sie sich Lyndis zu. Sie legte den Kopf schief und sah sie prüfend an. "Dir fehlt da aber ein ganz schöner Teil von dir, Kätzchen."
Lyndis sah die Frau fragend an. "Wer... seid Ihr?"
Menphina seufzte, bevor sie die Hände auf die Knie legte. "Da fehlt wohl auch ein ganz schönes Stück Erinnerung, oder nicht?" Sie sah zu Alathea, die nickte. "Na gut. Dann fangen wir halt noch mal von vorne an. Ich bin Menphina. Herrin über den Mond, die Treue und die Zeit. Und glaub mir, du wirst keine nettere Schutzgöttin finden können!", sagte sie mit einem breiten Grinsen.
Lyndis keuchte. "Göttin?!", fragte sie.
Menphina nickte. "Jep. Und als Anwärterin für meine Zeitwächter solltest du dich mehr anstrengen, Kätzchen."
Lyndis schüttelte den Kopf. "Ich verstehe nicht."
Menphina seufzte tief auf. "Natürlich nicht. Warum kann es nie einfach sein. Du..." sie zeigte auf Lyndis. "... hast dich mir verschrieben, als du noch ein Kind warst. Weil du keine Ahnung hattest, wie du deine Magie kontrollieren kannst. Wenigstens das funktioniert aber noch, oder?", fragte sie.
Alathea nickte. "Zumindest instinktiv kann sie ihre Magie noch kontrollieren."
Menphina nickte mit einem zufriedenen Grinsen. "Gut so. Wir wollen ja keine Wiederholung von damals haben."