Vom Himmel ins Wasser
Rin spürte, wie ihr Herz mit jedem Moment schneller schlug, als ob es sich aus ihrer Brust befreien wollte. Sie versuchte tief durchzuatmen, doch ihre Lungen schienen sich viel zu schnell mit Sauerstoff zu füllen und sie bekam kaum Luft. Der Gedanke, dass sie hilflos in die Tiefe fiel, ließ eine unbeschreibliche Panik in ihr aufsteigen.
Der starke Wind peitschte um sie herum und zerrte an ihrer Kleidung, als ob er sie davonreißen wollte. Rin klammerte sich verzweifelt an ihre zerschlissenen Kleider, während sie weiter in die Dunkelheit fiel. Sie konnte nicht anders, als sich zu fragen, wann dieser Sturz endlich ein Ende finden würde.
Es war, als ob Rin in einem Albtraum gefangen war, aus dem sie nicht aufwachen konnte. Ihre Sinne wurden von einem schmerzhaften Rauschen überschwemmt. Von ihren Augen perlten blutige Tränen, die den Schmerz ihrer zerbrochenen Welt erzählten. Rin war gefangen in einem Strudel aus Verzweiflung und Angst, der sie tiefer und tiefer in die Dunkelheit zog.
Ihr Körper war schweißgebadet und ihre Hände zitterten unkontrolliert. Rin drückte ihre Arme fest an ihre Brust, als ob sie sich selbst vor dem Fall retten wollte. Doch der Wind pfeift immer stärker um ihren Körper. Rin war machtlos gegen die Kraft, die sie weiter in die Tiefe zog.
Sie fühlte sich verloren und verängstigt und konnte sich nur an den Gedanken klammern, dass der Tod eine Befreiung von all dem Schmerz und der Trauer sein würde.
Rin stürzte, aus ihrer vertrauten Welt gerissen und in eine unbekannte Welt geworfen. Sie wusste, dass sie nie wieder zu ihrem alten Leben zurückkehren würde, und die Erinnerungen an all das, was sie verloren hatte, ließen ihr Herz in tausend Teile zerspringen.
Ihre Vertrauten,
Freunde
…. und ihre Familie.
Ein schmerzvoller Schrei durchbrach die Stille und jagte die Tiere dieser Welt auf, die in Unruhe gerieten. Als sie in das kalte Wasser fiel, durchströmte sie sofort ein Gefühl der Schwere, als sich ihre Kleidung mit Wasser vollsog. Den Schmerz spürte sie gar nicht erst.
Meine Schwester, meine Mutter, mein Gott… Alles ist-
Rin's Körper fiel weiter und weiter in die tiefen Gewässer des Ozeans. Der Druck wurde immer stärker und ihr Körper begann zu schwanken. Die Kälte umhüllte sie und raubte ihr den Atem. Sie wusste, dass sie in diesem endlosen Fall sterben würde. Die letzten Gedanken, die durch ihren Kopf schossen, waren die Erinnerungen an ihr altes Leben, an all die Dinge, die sie liebte und verloren hatte. Doch als sie den Meeresboden erreichte, gab es keinen Schmerz mehr, keine Trauer oder Verzweiflung. Nur noch Dunkelheit umhüllte sie und die Kälte, die sich immer tiefer in ihre Seele fraß.
Es war kalt und feucht um sie herum und ein unheimlicher Geruch lag in der Luft. Rin versuchte sich zu erinnern, wie sie hierhergekommen war, doch ihre Gedanken waren verschwommen. Sie tastete mit den Händen um sich herum, um herauszufinden, wo sie war. Ihre Finger stießen auf raues Holz und sie spürte, dass sie auf einem alten Schiff war.
„Du atmest.“ Plötzlich hörte sie Schritte, die sich auf sie zubewegten. Rin erstarrte vor Angst. Wer war hier mit ihr auf diesem verlassenen Schiff? Sie konnte das Atmen einer fremden Person hören und spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Wieder hörte sie die Stimme: „Gott sei Dank. Keine Sorge du bist nicht mehr in Gefahr.“, ein leises erleichtertes ausatmen war zu hören. Ihre Kleidung war immer noch klatschnass und ihr weißes Haar klebte ihr an der Stirn. Sofort öffnete die nasse Frau ihre Augen, doch das änderte nichts an der Dunkelheit. In ihr stieg große Panik auf und sofort krallte sie sich, an das nächst Beste, um Halt zu finden.
„Keine Sorge, bei mir bist du sicher.“, flüsterte eine sanfte Stimme.
Er sprach ihre Sprache! Sofort wollte sie ihren Mund öffnen, doch in diesen Moment fühlte sie einen Ruck und geschockt schlang sie ihre Arme, um den Körper des Fremden.
„Tut mir leid, ich habe dich zu schnell hochgehoben“, flüsterte die Stimme besorgt und blieb ruhig stehen. Rin spürte, wie ihr Herz immer noch schnell schlug, aber sie beruhigte sich langsam und versuchte, ihre Atmung zu kontrollieren. Die Worte des Fremden beruhigten sie ein wenig, aber sie war immer noch unsicher, wer er war und wo sie war.
„Ich bin… blind“, stellte sie mit entsetzt Fest. Eine abgehackte leise Stimme durchdrang die Ruhe um die beiden Wesen.
„Oh-“, war die einzige Reaktion auf diese grauenvoll Nachricht.
Die Luft roch nach feuchtem Moos und Erde. Rin hörte das Gras unter den Füßen ihres Helfers rascheln, als er sich vorsichtig und bedächtig durch den Wald bewegte. Zwischen den Baumstämmen konnte sie ab und zu ein paar Sonnenstrahlen auf ihrer Haut spüren, die durch das Blätterdach drangen. Doch für sie war alles nur dunkel.
Sie hörte das Rauschen eines nahen Bachs und das entfernte zwitschern von Vögeln. Ihre Ohren schärften sich und sie versuchte so viel wie möglich von der Welt um sie herum aufzunehmen.
Irgendwann spürte Rin, wie ihre nassen Kleider von Zweigen und Blättern gestreift wurden. Ein frischer Windhauch strich ihr sanft durch das Haar und kühle Wassertropfen klatschten auf ihre Haut.
Sie fragte sich, wie lange sie schon unterwegs waren und wo sie eigentlich hingingen. Doch in dieser fremden Welt, in der sie blind war, musste sie sich auf ihren Helfer verlassen.
Als sie ihren Arm auf seiner Schulter ablegte, spürte sie eine raue, unebene Oberfläche unter ihrer Hand. Verwirrt tastete sie den Rücken ihres Helfers ab und erkannte, dass sein Körper mit echter Baumrinde bedeckt war.
Solch einem Wesen bin ich noch nie begegnet…
Sie war erstaunt über das Gefühl, das dieses Wesen ausstrahlt. Sie fühlte sich nicht unwohl und doch war ein Unbehagens Gefühl ständig bei ihr. Das Wesen, das sie trug, war ihr fremd und sie hatte keine Ahnung, in welche Richtung es sie brachte.
„Ich glaube wir haben beide viele Fragen.“, sagte ihr Retter und legte sie auf etwas weiches. Es fühlt sich wie Tierfell an. Rin spürte, wie ihr Herz schwer schlug und ihre Gedanken sich überschlugen. Wie war sie hierhergekommen? Wo war sie überhaupt gestrandet? Wer war ihr Gegenüber? Fragen, die ihr durch den Kopf schossen, während sie es sich auf dem weichen Tierfell bequem macht. Ihr wurde wärmer da der Fremde ein Feuer anmachte.
Forest schien ihre Verwirrung zu spüren und setzte sich neben sie auf das Fell. „Ich weiß, es ist verwirrend“, begann er sanft. „Mein Name lautet Forest, ich denke, wir sollten uns erst einmal um uns kümmern und dann herausfinden, wie du hierhergekommen bist.“
„Nightrin“ Erwiderte sie nickend, dankbar für die ruhige Stimme ihres Retters. Er wusste, dass sie in diesem Moment nicht allein sein wollte. Langsam ließ sie sich auf das Fell zurückfallen und atmete tief durch. Vielleicht würde sie hier Antworten finden, vielleicht wird sie rausfinden wie es ihrer alten Welt geht.
Fortsetzung folgt…